Interview mit dem Natistaff 2

vom Oktober 2009

Am 1. Oktober kommunizierte der Staff die Liste des erweiterten Kaders für Vancouver 2010. Dieses Wochenende stand die Frauen Nationalmannschaft in Huttwil im Einsatz. Ab heute (5.10.09) sind es noch 130 Tage bis zur Eröffnung der Spiele. Höchste Zeit also, den Staff der Frauenmannschaft zum Interview zu bitten.

Frauennati.ch: Sali zämä. Zuerst einmal Gratulation zu den beiden Spielen gegen Tschechien. Dazu aber später. Einen ersten grossen Schritt in Richtung Vancouver habt ihr mit der Veröffentlichung der erweiterten Kaderliste getan. Was gibt es zu ihr zu sagen?
René Kammerer, Headcoach (RK): „Diese Liste umfasst alle Namen möglicher Olympiakandidatinnen. Diese Spielerinnen wurden vorselektiert, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können. Sie beinhaltet nur wenig Überraschungen, die Entwicklung dieser Gruppe ist ein längerer Prozess, der schon vor mehr als 1 Jahr seinen Anfang genommen hat. Diese Spielerinnen haben ja gesagt, zu der Herausforderung, in den engeren Selektionsprozess für Vancouver zu gehen. Dies bedeutet aber natürlich nicht, dass diese Spielerinnen dann auch wirklich aufgeboten werden. Es gab und wird weitere harte Entscheidungen geben.“

Was heisst das für die Spielerinnen, die nicht auf der Liste sind?
Michael Fischer, Assistant Coach (MF): „Nichts anderes als dass sie keine Chance mehr auf die Spiele haben. Das tönt zwar sehr hart so ausgesprochen, aber es ist ein Schritt der an einen Zeitplan gebunden ist.“

Zeitplan? Wieso kann man denn nicht einfach mit der Mannschaft in den Flieger sitzen und sich vor Ort melden?
Philipp Steiner, Delegationsleiter (PS): „Tja wenn dies so einfach wäre! Für eine WM ist es schon sehr viel was in Sachen Administration wie Entry List usw zu erledigen ist und zeitgerecht voreingereicht werden muss.
Im Vergleich zu olympischen Spielen ist so eine WM aber ein Kleinevent und Sicherheitsvorkehrungen wie an einem Flughafen zum Beispiel sind dort an der Tagesordnung.
Ganz zu schweigen von Mediengeschichten und Transport- und Materiallogistik.
Ein solcher Megaevent braucht eben auch entsprechend mehr Vorlauf und aufwändige korrekte Datenerfassung.“

Nun sind es 33 Spielerinnen und 5 Torhüterinnen die im Kader verbleiben. Wie geht es nun mit ihnen weiter?
RK: „Wir haben bereits erste Entscheide getroffen. Wir befinden uns in der Phase 2. Mit dem Halloween Cup vom 12. bis 14. November in der Slowakei schliessen wir diese Phase ab. Anschliessend greifen die Spielerinnen in den Prozess ein, die im Ausland engagiert sind. Es erfolgen dann laufend weitere grössere oder kleinere Kaderreduktionen. Unsere Absicht im Januar 2010 noch ungefähr die Spielerinnen im Kader zu haben, die in der engeren Auswahl stehen. Der Druck auf alle Spielerinnen ist gross.“

Wie geht ihr damit um, Selektionen und dabei ein so wichtiges Turnier vor euch. Wie bereitet ihr euch da noch vor, bei all dem Druck?
MF: „Das ist sicher einer der Punkte den wir aus Turin lernen mussten. In jener Saison stand die Selektion so extrem im Zentrum, dass sich kaum eine Spielerin wirklich mit der Aufgabe im sportlichen Turnier der olympischen Spiele auseinandersetzen konnte. Dieser Effekt kam dann zwar noch, aber nicht im selben Vorlauf wie es andere Nationen hatten. Dieses Jahr machen wir es anders, fokussieren viel mehr das Turnier das uns erwartet. Die Spielerinnen sollen bildlich gesprochen nach vorne schauen und nicht nur über ihre Schultern, an welcher Stelle sie gerade stehen.“

Ihr habt total 10 Spielerinnen und Torhüterinnen, welche im Ausland engagiert sind. Wie beobachtet ihr ihre Entwicklung, wie haltet ihr den Vergleich mit den in der Schweiz verbliebenen Spielerinnen?
Daniel Hüni, Assistant Coach (DH): „Wir halten steten Kontakt mit den Coaches der Spielerinnen. Daneben stellen wir sicher, dass wir sie im Verlauf der Saison einmal sehen werden. Wir haben ihnen die Situation geschildert, dass es unter Umständen eine spezielle Situation mit Druck geben wird. Sie haben unter Umständen nur eine oder zwei Chancen um sich zu zeigen und sich aufzudrängen. Das ist so und lässt sich nicht ändern. Wir mussten im Budget Kürzungen vornehmen und mussten daher das Scouting im Ausland für diese Saison absagen. Wir können die Spielerinnen also nicht im Ausland beobachten gehen. Das ist traurig, denn es sollte eigentlich Pflicht sein. So gesehen merkt man uns den Amateur- und Randsportstatus gewaltig an.“

Im Zusammenhang mit olympischen Höchstleistungen kommt das Gespräch rasch auf das Thema Doping. Ich nehme an, dass ihr auch im Fokus steht, jetzt wo ihr wenige Monate vor den Spielen steht?
RK: „Selbstverständlich unterstehen auch unsere Athletinnen diesen Regelwerken. An jeder Weltmeisterschaft, auch im U-.. Bereich finden Dopingtests durch. Im Hinblick auf die Spiele wird das noch intensiviert. Die NADA (Nationale Anti Doping Agentur) bekommt von allen Spielerinnen die Trainingsdaten zugestellt. Überraschende Kontrollen sind zu erwarten. Unsere Spielerinnen sind informiert, und können auch jederzeit Rücksprache mit unserem Medical Team nehmen. Wichtig ist, dass die Spielerin weiss, dass sie selbst dafür verantwortlich ist, was sie einnimmt oder eben auch nicht. Sie ist zur Vorsicht angehalten. Das beginnt beim Besuch beim eigenen Hausarzt, und endet irgendwo bei einer offen rum stehenden Getränkeflasche. Ich darf sagen, das bisher alle Tests im Frauen Eishockey negativ ausgefallen sind.“

Wie steht es mit der Organisation des olympischen Abenteuers, Pipo, wo steht ihr da? Ist schon alles im grünen Bereich oder wie sieht es aus?
PS: „Ja wir sind auf gutem Weg und der grobe Rahmen ist abgesteckt aber der Teufel steckt natürlich immer im Detail und es gibt noch viele solcher Details zu klären.“

Wie sieht es mit euren Gegnerinnen aus. Seid ihr im Bild wo sie stehen?
MF: „Nun, von den 7 anderen Nationen welche im Turnier sind haben wir 6 an der WM in Finnland gesehen, gegen die Slowakinnen spielen wir an 2 Turnieren in den nächsten 2 Monaten. Allzu weit werden unsere Erinnerung dann nicht weg sein. Die U.S.A. und Kanada haben ihre unbestrittenen Stärken. Dazu verwerten sie ihre halbjährige Vorbereitung auf Vancouver medial so offensiv, dass wir genug Informationen haben werden. In Vancouver selber werden wir sie noch live sehen bevor wir auf sie treffen werden und würden. Schweden und Finnland sind auch im Internet sehr präsent und beide Nationen haben wir unter Beobachtung am MLP Cup im Januar. Evtl. spielen wir dort sogar noch gegen sie. Russland wird ebenfalls am MLP sein. Sie stehen in Vancouver nicht in unserer Vorrundengruppe. Wir spielen aber im Vorfeld noch ein Testspiel gegen sie. China schliesslich ist fast die grösste Wundertüte. Im Internet sind keine Informationen auffindbar über ihre Vorbereitung. Sie haben gerade ihren Headcoach ausgewechselt. Neu ist der ehemalige Finnencoach Hannu Saintula in China an der Bande. Was das auf ihr Spiel bezogen heisst können wir noch nicht sagen. Sie spielen aber im Winter für drei Monate in Finnland gegen Frauen und Knabenteams (!!!). Das wird uns erste Anhaltspunkte geben. Danach aber sehen wir sie nicht mehr bis Vancouver. Wir müssen auch sie dann in Kanada direkt beobachten.“

Was läuft materialmässig im Vorfeld? Was erwartet euch betreffs Kleidung und sonstigem Material bis im Februar?
PS: „Es ist kaum vorstellbar, was da alles an verschiedener Bekleidung gefasst werden darf und dann aber natürlich auch auf verschiedenen Wegen Richtung Vancouver gehen wird.
Wir werden beispielsweise am 29.1.2010 nach Ittigen einrücken und dort die Olympiabekleidung fassen, welche von Skianzug über Schuhe bis zu Thermounterwäsche so ziemlich alles beinhaltet was es für einen gut befüllten Kleiderschrank braucht ;-) .“

Kommen wir zurück zu aktuellen Ereignissen. Seit dieser Saison habt ihr einen neuen Programmpunkt auf euren Tagesabläufen. Du führst die Spielerinnen täglich einmal zu einer Off Ice-Session. Erzähl uns mehr davon, Dani.
DH: „Wir wollen, dass sich die Spielerinnen noch mehr an die Off Ice-Möglichkeiten mit dem Stickhandling Ball gewöhnen. Noch mehr als sie es ohnehin schon tun. Ich denke wir haben immer noch Potential, die technischen und koordinativen Fähigkeiten zu verbessern. Daneben arbeiten wir aber auch an einfachen Formen der Kräftigung. Alles Sachen die jede/r zu Hause machen kann, ohne viele Hilfsmittel.“

Dieses Wochenende stand euer Team in Huttwil gegen Tschechien im Einsatz. Was ist dein Fazit zu den Spielen und zum Camp im Allgemeinen?
RK: „Ein knapper Sieg und ein Unentschieden, damit können und dürfen wir auf den 1. Blick nicht zufrieden sein. Nicht unterschätzen darf man dabei allerdings die Situation der Spiele. Für unseren Gegner waren die Spiele ein Highlight in der Saison. Sie hatten nichts zu verlieren und gingen wirklich volle Kanne. Das haben wir etwas unterschätzt. Zudem standen und stehen bei uns alle gewaltig unter Strom. Der Selektionsdruck blockiert. In den Spielen selber war ich doch ziemlich ungehalten. Im Nachhinein bin ich wirklich dankbar für diese beiden Spiele. Sie haben uns gefordert. Vor allem mental. Wir müssen lernen mit diesem Druck umzugehen. Vielleicht nicht der Selektionsdruck, der Druck im physischen Bereich, der Raum- und Zeitdruck, der mentale Stress und evtl. auch die Provokationen werden zunehmen. Wir müssen und werden lernen damit umzugehen. Wir haben in beiden Spielen mehr oder weniger regelmässig alle Spielerinnen eingesetzt, auch die Special Teams waren mehr oder weniger Lösungen für dieses Camp. Diese hatten 0 Zeit, sich auf dem Eis auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Es waren selektive Spiele, wir haben gesehen, was wir sehen wollten. Und, wir waren optisch das bessere Team, auch wenn wir mit 4 Blöcken gegen zum Teil deren 2 oder 3 der Tschechinnen gespielt haben.“

Tschechien ist an der letzten Div. I-WM abgestiegen. Wieso spielt ihr im Vorfeld zu Vancouver überhaupt gegen solche Teams?
MF: „Zum einen muss man sehen dass Tschechien in Graz die späteren Aufsteigerinnen aus der Slowakei gleich mit 5:1 geschlagen haben. Ihre U18 war vor 2 Jahren noch in den Medaillenrängen an der U18-WM. Sie haben fürwahr kein schlechtes Team und das hatten sie auch in Huttwil nicht. Sie sind also ein legitimer Meilenstein auf unserem Weg. Zudem ist es nicht einfach ausserhalb eines IIHF-Datums einen Gegner zu finden. Nach der Absage von der Zusage der Norwegerinnen sprang Tschechien spontan ein und dafür sind wir dankbar.“

Was ist denn mit Finnland, Schweden oder Russland zum Beispiel?
DH: „Die sind zusammen mit Deutschland in einem eigenen Turnier, dem EHT, organisiert. Das gibt ihnen bereits 3 Daten im Jahr. Schweden und Finnland spielen zudem jeweils im November noch im 4 Nations gegen U.S.A. und Kanada. So gesehen bleiben die Daten rar in welchen wir noch Platz hätten. Ein Umstand den wir gerne ändern wollen.“

Was heisst das konkret?
PS: „es gilt, möglichst rasch und in die Verhandlungen von Turnierverträgen einzuhängen wie sie stattfinden müssen. Der Vertrag für das EHT dauerte 4 Jahre und läuft diese Saison aus. Wir müssen dort einhängen und mit den Ländern eine Übereinkunft finden wie wir künftig noch mehr Spiele untereinander austragen können. Es geht dabei um langfristige Entwicklung, nicht um kurzfristige Interessen.“

Wenn wir von Turnier sprechen, euer nächster Termin wird der Halloween-Cup in der Slowakei sein. Dort trefft ihr gleich im ersten Spiel auf euren späteren Olympiagegner. Was erwartest du vom Turnier im November?
RK: „Eine tolle Aufgabe für uns! Mit den Gegnern Slowakei, Tschechien und Deutschland gibt das wieder selektive Spiele. Die Tschechinnen und Deutschen haben keinen Selektionsdruck, werden frei aufspielen, und werden versuchen uns ganz gehörig unter Stress zu setzen. Die Slowakei wird schon nahe am Olympiateam sein, sie wollen sicher ein Ausrufezeichen setzen. Wir sind in der Favoritenrolle, mitten im Selektionsprozess. Gegner die Druck machen, nichts zu verlieren haben, hart spielen, nie aufgeben. Mit diesen Faktoren werden wir umzugehen wissen. Wir wissen um unsere Fähigkeiten, und werden diese zeigen. Wir freuen uns auf diese Prüfsteine. Von der Infrastruktur her kann es dort perfekt sein, es kann aber auch gut schwierige Umstände geben. Wir haben schon mehrfach bewiesen, dass wir mit beidem gut umgehen können.“

Dazu wünschen wir euch viel Glück! Danke für das Interview, wir werden uns dann 100 Tage vor dem ersten Spiele in Vancouver wieder zum Gespräch treffen.